„Blind sein ist nicht cool“
Wie Schüler der Heimstatt Röderhof und der Albertus-Magnus-Schule voneinander und miteinander lernen
Karina Scholz: Obwohl Lara Maier die Innenstadt gut kennt, hat sie heute schon auf den wenigen Metern von der Schuhstraße bis zur Scheelenstraße zu kämpfen. Die 15-Jährige testet, wie es einem blinden Menschen geht – mit Augenmaske und Blindenstock tastet sie sich voran, schon der kleinste Bordstein kann sie aus dem Tritt bringen. Zum Glück passen ihre Mitschülerinnen auf, dass ihr nichts passiert. Dieser Spaziergang ist Teil des Unterrichts an der Albertus-Magnus-Realschule (ALMA) Hildesheim und der Sankt-Franziskus-Schule von der Heimstatt Röderhof, an der geistig beeinträchtigte Jugendliche lernen.
aus Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 22. November 2018
Von Oktober bis Ostern treffen sich die Schüler jede Woche, um gemeinsam zu erleben, was Inklusion bedeutet und um voneinander zu lernen. „Blind sein ist nicht cool“, lautet das Fazit von Lara. Auch die anderen merken: Es geht langsamer voran als sonst. Auf dem Kopfsteinpflaster des Marktplatzes bleibt der Blindenstock alle paar Schritte hängen. Keiner hat mehr Augen für die Sonderangebote in den Schaufenstern oder den Aufbau des Weihnachtsmarktes. Wer im Rollstuhl sitzt, muss sich gut festhalten, und wer ihn schiebt, darf seine Gedanken nicht schweifen lassen, sonst kippt das Gefährt schnell mal vornüber. Ein Bummel im Kaufhaus? Ein Buch aus der Stadtbibliothek ausleihen? Mit Handicap wird schon die Eingangstür zum Hindernis. Hilfe bekommen die Schüler von Eugen Biniasz-Schreen, der sich im Verein Stolperstein engagiert. Er hat die Rollstühle und Blindenstöcke mitgebracht und den Jugendlichen eine technische Einweisung gegeben. Für die blinden Testpersonen hat er einen Tipp parat: „Sucht euch Orientierung, zum Beispiel eine Hauswand, an der ihr entlang gehen könnt.“ 16 Schüler der ALMA und acht Jugendliche vom Röderhof treffen sich in diesem Halbjahr jede Woche im Wahlpflichtkurs Inklusion. „Unsere Schüler bekommen einen anderen Blickwinkel, und die Röderhof-Bewohner nehmen total viel mit“, ist Lehrerin Nora Teumer überzeugt. Beide Gruppen lernen voneinander, so das Konzept. Schülerin Jule Schrader kann das bestätigen: „Es hat mich überrascht, dass die Röderhof-Schüler von Anfang an so offen und nett waren“, sagt sie. Mittlerweile kennen sich die Kursteilnehmer gut. In den nächsten Wochen steht ein Ausflug auf den Weihnachtsmarkt in Hannover an. „Dann zeigen die ALMA-Schüler den Röderhof-Schülern, wie man Zug fährt“, freut sich Teumer.